Meinung

Wie der Nahost-Konflikt die Balkanstaaten zur Parteinahme zwingt

Anstatt zu den aktuellen Ereignissen in Israel und Gaza zumindest eine neutrale Position einzunehmen, entscheiden sich die kleinen Balkanstaaten und verfeindeten Nationen, die eigene Erfahrungen aus dem jüngsten Bürgerkrieg auf eigenem Boden haben, für eine der Konfliktparteien Partei zu ergreifen.
Wie der Nahost-Konflikt die Balkanstaaten zur Parteinahme zwingtQuelle: AFP © ELVIS BARUKCIC / AFP

Von Marinko Učur

Es ist nicht klar, warum Serbien zusammen mit den meisten regionalen Staaten scheinbar überstürzt und voreilig Israel unterstützt hat, obwohl dieses Land die Unabhängigkeit der abtrünnigen serbischen Provinz Kosovo anerkannte, während die Bosniaken (Muslime) ihre Unterstützung gegenüber den Palästinensern zum Ausdruck brachten. Dies führt zu neuen Missverständnissen in den ohnehin fragilen Beziehungen zwischen den verfeindeten Nationen.

Bereits am ersten Tag des Konflikts zwischen Hamas und Israel konkurrierten die Balkanstaaten lediglich darum, wer ihre Unterstützung für Israel lauter zum Ausdruck bringen würde, obwohl klar war, dass die Reaktion des jüdischen Staates auf den Überraschungsangriff der Hamas übertrieben, wahllos und unverhältnismäßig war.

Warum Kroatien sich beeilte, sein Engagement für die Regierung von Premierminister Netanyahu zum Ausdruck zu bringen, kann noch nachvollzogen werden. Jede Verzögerung in der Reaktion Zagrebs könnte aufgrund der Nazi-Vergangenheit des Landes in Verbindung mit der faschistischen Schöpfung, dem Unabhängigen Staat Kroatien (NDH), immer falsch ausgelegt werden.

Nicht verständlich ist, warum Serbien so schnell seine Unterstützung für Israel zum Ausdruck brachte, ohne auf eine Reaktion anderer Länder zu warten. In Titos Jugoslawien wurden das palästinensische Volk, seine Autonomie und sein Recht auf Staatlichkeit massiv unterstützt, auch noch zu der Zeit von Jassir Arafat und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Serbien kennt daher eine Tradition der unbestrittenen Unterstützung für den "gerechten Kampf des palästinensischen Volkes", doch die neu entstehenden internationalen und geopolitischen Umstände haben jetzt offensichtlich einige neue Verhaltensregeln mit sich gebracht.

Das offizielle Belgrad war schockiert über die Entscheidung der israelischen Regierung, die selbst ernannte "Staatlichkeit" des Kosovo anzuerkennen,  Kosovo hat seinerseits Israel in den von den Vereinten Nationen nicht anerkannten Grenzen sowie Jerusalem als Hauptstadt Israels akzeptiert und dort seine diplomatische Vertretung eröffnet. Obwohl Serben und Juden das gleiche leidvolle Schicksal nach dem Zweiten Weltkrieg teilen, hinderte dies Israel nicht daran, von seinen eigenen Interessen geleitet, "Salz auf die offene serbische Wunde" namens Kosovo zu streuen.

Die Wahrheit ist, dass die serbischen Medien ihren Medienraum sowohl der israelischen als auch der palästinensischen Seite zur Verfügung gestellt haben, sodass auf der Ebene der Botschafter in Belgrad jeder aus seinem eigenen Blickwinkel die Ereignisse im Kriegsgebiet zum Ausdruck bringen konnte. Dennoch übernahm bei den Medienauftritten der israelische Botschafter Jahel Vilan die Führung, der leidenschaftlich vom "Krieg gegen den Hamas-Terror" sprach, obwohl zeitgleich die Schrecken des Konflikts und das Leid der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten an die Öffentlichkeit drangen.

Interessant war auch das Verhalten, genauer die "Wanderung", der Vertreter der größten muslimischen Bevölkerung auf dem Balkan, der Bosniaken, deren politische Vertreter auf eine verdrehte Weise Israel im Einklang mit ihren "euro-atlantischen Erwartungen" unterstützten. Der Appell "an beide Seiten, dass nur Verhandlungen dauerhaften Frieden schaffen können" ist eher Ausdruck von Ohnmacht und Uneinigkeit als einer rationalen und legitimen Haltung.

Andererseits steht die bosniakische Bevölkerung, wie aus den Beiträgen in sozialen Netzwerken hervorgeht, überwiegend auf der Seite der Palästinenser. Als Ausdruck der Unterstützung für die Bevölkerung von Gaza wurde an der alten Brücke in Mostar eine große palästinensische Flagge gehisst. Zudem wurde in Sarajevo eine "Zusammenkunft zur Unterstützung des palästinensischen Volkes im Gazastreifen und im Westjordanland" angekündigt. Angesichts der Tatsache, dass eine informelle Gruppe von Bürgern als Organisator der Zusammenkunft auftrat, ist klar, dass eine breitere Unterstützung für die Palästinenser ausbleiben wird. Dennoch nutzten die Organisatoren die Gelegenheit, um jede Form der Aggression gegen das palästinensische Volk und, wie sie sagten, "organisierte Ausrottung" zu verurteilen.

"Es ist schwierig, neutral zu bleiben", sagen einige Analysten aus Sarajevo und spielen damit auf die Ankündigungen radikaler muslimischer Kreise an, die die Hamas und ihr Vorgehen in Israel bereits unterstützt haben. Jegliche Unterstützung der Hamas in der Republika Srpska, einer der beiden Entitäten in Bosnien und Herzegowina, wird als Erinnerung an den blutigen, religiösen und ethnischen Bürgerkrieg in Bosnien zwischen 1992 und 1995 wahrgenommen, als Hamas-Kämpfer auf muslimischer Seite als Freiwillige im Einsatz waren. Einige der schwersten Kriegsverbrechen und beispiellosen Gräueltaten gegen die serbische Bevölkerung stehen im Zusammenhang mit Mitgliedern der Hamas, die sich auf Einladung des muslimischen Kriegsführers Alija Izetbegović am Konflikt beteiligt haben.

Deshalb ist es ziemlich sicher, dass das Kriegserbe der Hamas noch heute in den radikalislamischen Kreisen in Sarajevo zu spüren ist, die vor nicht allzu langer Zeit ein Stützpunkt zur Rekrutierung für die IS-Einheiten waren.

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