Meinung

Verfolgung russischer Medien in der Ukraine - Schadenfreude und Schweigen im Westen

Solidarität nur für "unsere": Die Westmedien verweigern nicht nur ihren russischen Kollegen, die zum Opfer ukrainischer Justiz werden, jegliche Solidarität. Sie berichten gar nicht erst über das Problem. Derartiges Schweigen kommt einer Unterstützung gleich.
Verfolgung russischer Medien in der Ukraine - Schadenfreude und Schweigen im WestenQuelle: Reuters

von Wladislaw Sankin 

Die Festnahme des Chefredakteurs eines großen ausländischen Mediums durch maskierte Männer in einer europäischen Hauptstadt, die stundenlange Durchsuchung der Redaktion und das Verhör der Mitarbeiter - ein solches Ereignis hätte es in westlichen Staaten unter normalen Umständen über Tage hinweg auf die Titelseiten geschafft, zumal es um Kollegen aus der gleichen Zunft geht. Die Politprominenz und Meinungsmacher in Medien würden darin wetteifern, wer als Erster und am schärfsten dieses Vorgehen verurteilt und das verantwortliche Land zur Einhaltung der Pressefreiheit mahnt. Die Kollegen des Verhafteten, die Journalisten, würden sich mit kreativen Hashtags schnellstens in einen Chor der Solidariätsbekundungen einreihen.

Nur findet das alles derzeit nicht statt - obwohl technisch gesehen die Voraussetzungen für ein solches Szenario in vollem Umfang vorliegen würden. Der Staat, der den Chefredakteur hinter Gitter wirft und diesem "Landesverrat" vorwirft, ist allerdings die Ukraine und der Journalist ist Kirill Wyschinski, ein Mann mit ukrainischer und russischer Staatsbürgerschaft. Das Medium, das er leitet, gehört zur internationalen Informationsagentur MIA Rossija Sewodnja. Das macht den 50-Jährigen zu einem klassischen Vertreter der vermeintlichen "russischen Propaganda", welcher der Westen auf allen Plattformen, vom Europaparlament und zahlreichen Regierungen bis zu eigenen Medien und NGOs, selbst den Krieg erklärt hat.   

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Nach #FreeKirill-Hashtags sucht man bei westlichen Kollegen vergeblich

Das macht das Schweigen aber entsprechend folgerichtig. Spätestens nach der Frage des RT-Korrespondenten Ilja Petrenko (Minute 20:50 in der RT-Videoübertragung) bei der gemeinsamen Konferenz von Wladimir Putin und Angela Merkel am 18. Mai – drei Tage nach der Festnahme - hätten die deutschen Medien den Anlass gehabt, darüber etwas zu berichten. Doch außer Sputnik, RT Deutsch und Telepolis hat dies keiner getan.

Um korrekt zu sein: Gänzlich geschwiegen hat der Westen nicht. Es gab beispielsweise eine zögerliche und halbherzige Rüge einiger Institutionen wie HRW oder DJV und sogar die "Sorge" der Bundesregierung - die allerdings erst nach mehreren Anfragen geäußert worden ist. Aber man kennt es ja anders: Angesichts einer drohenden Haftstrafe von 15 Jahre für den Journalisten hätte ein ähnlicher Fall in Russland mit einem BBC- oder DW-Korrespondenten durchaus das Zeug dazu gehabt, eine regelrechte diplomatische Krise auszulösen. Man denke auch an Fälle wie Can Dündar oder Deniz Yücel und die Reaktion westlicher Politiker und Medien auf diese. RIA Nowosti hat Dutzende Anfragen an deutsche, US-amerikanische, englische und französische Medien zu deren Einschätzung gerichtet und nur wenige, ausweichende Antworten bekommen, geschweige denn ausführliche Berichterstattung oder Solidaritätsbekundung. 

Und diejenigen, die im Westen dazu lauthals etwas gesagt hatten, machten es so: Die Pressesprecherin des US-Außenministeriums, Heather Nauert, hat die Hoffnung geäußert, dass die ukrainische Regierung angesichts von Handlungen wie der Festnahme von Journalisten internationale Normen über Menschenrechte ernst nimmt. Aber Washington verstehe auch die Sorge in der Ukraine wegen "aktiver Propaganda". Man fragt sich: Was ist hier die Kernaussage? Genau: Weiter so, wir kriegen das schon hin. Hauptsache, Ihr haltet durch.

Quod licet Iovi...

Denn der Generalverbrechen vonseiten des Portals RIA Nowosti Ukraina bestand darin, dass das Medium eine Gegenstimme zum Chor maidantreuer Medien darstellte und denjenigen die Stimme gab, welche die gegenwärtige ukrainische Politik scharf kritisieren. Man hat also das getan, was beispielweise in den westlichen Staaten RT macht und was westliche Korrespondenten ihrerseits in Russland, der Türkei oder Israel seit Jahr und Tag auch machen: nämlich frei von Gefälligkeiten gegenüber der im jeweiligen Land herrschenden Klasse zu berichten. Aus Sicht derjenigen, die sich in eigener Sache selbstverständlich das Recht nicht streitig machen lassen wollen, im Ausland regierungskritisch zu berichten, ist das allerdings eine Frechheit. Der Bild-Mann Julian Röpcke brachte das wie folgt auf den Punkt: RIA Nowosti sind Soldaten im Informationskrieg und keine Journalisten, deswegen keine Solidarität.

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Was Bild offen vor sich plaudert, das denkt der Rest, nur traut er es sich nicht so brachial schadenfroh auszusprechen. Die vor Hass strotzenden Kommentare des Chefs der sogenannten Menschenrechts-NGO "Reporter ohne Grenzen" in Bezug auf RT sprechen Bände. Im Wesentlichen offenbart Röpcke auf ganz unbekümmerte Weise einen ganz gewöhnlichen Rassismus, der in breiten Kreisen deutscher Journalistik in Bezug auf russische Journalisten unterschwellig herrscht: Ihr seid uns nicht ebenbürtig und werdet es nie sein. Das ist die Botschaft, die hinter Begriffen wie "Propagandasender" oder "russischer staatlicher Kanal" steckt und die Autoren unzähliger unsachlicher Artikel zu RT Deutsch und haltloser Vorwürfe von Fake-News bewegt. Selbst in akademischen Kreisen versucht man seit Jahren bereits die bloße Präsenz russischer Medien in Deutschland zu skandalisieren.

Frau Merkel hat nach der erwähnten RT-Frage versprochen, mit Petro Poroschenko über den Fall zu sprechen. Wohlgemerkt: Sie hat die Festnahme des Journalisten nicht verurteilt, obwohl sie eine gute Gelegenheit gehabt hätte, in dieser Sache Wladimir Putin zu folgen. Sollte sie ihre Ankündigung aber wahrmachen: Was wird die deutsche Kanzlerin dem ukrainischen Präsidenten sagen? "Macht es nicht so, dass wir Euretwegen rot werden müssen" - das könnte die Botschaft sein. Jedenfalls wird diese Empfehlung für Poroschenko kein Grund sein, etwas an der systematischen Verfolgung der Presse in der Ukraine, deren Opfer man seit langem in Dutzenden zählt, zu ändern.

Seit Skripal ist Russland nicht mehr nach Austauschvereinbarungen zumute

Denn aus seiner Sicht gibt es gute Gründe, den bekannten Journalisten Kirill Wyschinski in den Knast zu stecken und unliebsame Medien stets aufs Neue einzuschüchtern: Bald will er wiedergewählt werden und seine Zustimmungswerte liegen bereits seit Jahren deutlich unter 20 Prozent, zum Teil sogar nur im einstelligen Bereich. Und: Man kann jeden Gefangenen als gute Verhandlungsmasse betrachten. Am Dienstag erklärte das ukrainische Außenministerium, dass ein Tausch von Wyschinski gegen den in Russland wegen des Vorwurfs des Terrorismus in Haft sitzenden Maidanaktivisten Oleg Senzow durchaus denkbar sei.

Das Problem dabei ist aber folgendes: Spätestens nach dem Skandal um den im Jahr 2010 ausgetauschten Doppelagenten Sergej Skripal in Großbritannien ist Russland schlecht beraten, sich an derartigen Tauschaktionen zu beteiligen. Es sieht also nicht gut aus für Wyschinski. 

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