Europa

Noch ein Patzer des US-Präsidenten: Biden "begräbt" in Artjomowsk 100.000 russische Soldaten

US-Präsident Joe Biden hat auf der Pressekonferenz nach dem G7-Gipfel auf riesige russische Verluste bei den Kämpfen um Artjomowsk hingewiesen. Die von Biden genannten Zahlen können aber gar nicht stimmen, was auch die westlichen Medien einräumen.
Noch ein Patzer des US-Präsidenten: Biden "begräbt" in Artjomowsk 100.000 russische SoldatenQuelle: AFP © Brendan Swalowski

Von Wladislaw Sankin

US-Präsident Joe Biden hat auf der Pressekonferenz nach dem G7-Gipfel im japanischen Hiroshima den Verlust der Stadt Bachmut (seit 20. Mai wieder in Artjomowsk umbenannt – Anm. der Redaktion) kommentiert. Er konnte die Einnahme der Stadt durch russische Truppen weder bestätigen noch widerlegen, lenkte aber die Aufmerksamkeit auf angeblich zu hohe russische Verluste. Biden erklärte:

"Die Diskussion um Bachmut dreht sich darum, ob es verloren ist oder nicht. Die Wahrheit ist, dass Russland in Bachmut etwa 100.000 Menschen verloren hat. Das ist nur schwer wiedergutzumachen. Es spielt keine Rolle, ob sie besetzt ist oder nicht, es ist immer noch eine zerstörte Stadt. Aber sie (die ukrainischen Streitkräfte) konnten vorrücken und viele russische Kräfte und die Wagner-Gruppe blockieren."

Biden fügte hinzu, dass die US-Freigabe zur Nutzung von F-16-Kampfjets die Situation um Artjomowsk nicht zugunsten der Ukraine wenden könnte. Unklar ist allerdings, ob Biden nur russische Tote oder aber auch Verwundete gezählt hat.

Viele westliche und ukrainische Medien haben Biden bereits zitiert. Darunter sind auch einige deutsche Medien, wie etwa der Münchner Merkur, der von "enormen Verlusten für Russland" schreibt. Deutsche Militärs legen sich bei den Zahlen nicht fest, wiederholen aber die Argumentation Bidens fast wortwörtlich. So behauptete der Ex-Chef des Leitungsstabs im Bundesverteidigungsministerium Nico Lange in der Bild: "Dass die Ukraine in Bachmut der Wagner-Gruppe und den russischen Streitkräften sechs Monate lang sehr hohe Verluste zufügen konnte, ist ein Erfolg für die Verteidiger."

Aber die Zahlen, die der US-Präsident genannt hat, können nicht stimmen, weil sie sogar die Zahl der kämpfenden Truppen auf der russischen Seite übersteigt – es sei denn, die russischen Kämpfer  hätten wie in einem Computerspiel mehrere Leben.

Es ist bekannt, dass um Artjomowsk fast ausschließlich Soldaten des privaten Militärunternehmens Wagner kämpften, mit Unterstützung einer Artilleriebrigade der regulären Armee. Laut Angaben des US-Generals Mark Milley, die in diesem Fall realistisch zu sein scheinen, haben im März etwa 6.000 professionelle Söldner und weitere 20.000 bis 30.000 Rekruten der Wagner-Gruppe gekämpft (zitiert nach CNN). Das sind maximal 36.000 Kämpfer. Andere Quellen beziffern die Gesamtzahl der Wagner-Einheit in und bei Artjomowsk, einschließlich des nichtmilitärischen Personals, auf maximal 50.000.

Am 2. Mai teilte Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin mit, dass die Verträge der 26.000 in den Gefägnissen rekrutierten Kämpfer bereits ausgelaufen sind. Das entspricht ungefähr der von Milley genannten Größenordnung. Die Zahl der an den Kämpfen um Artjomowsk beteiligten ukrainischer Einheiten werden von Militäranalysten auf 70.000 bis 80.000 beziffert. Damit wären die anstürmenden russischen Einheiten sogar in Unterzahl.

Nun, die Sterberate bei den Kämpfen um Artjomowsk mit modernen Mitteln der Luftaufklärung über die kleinsten Truppenbewegungen und Präzisionsartillerie ist sehr hoch. Auch Wagner-Chef Prigoschin räumte hohe Verluste seines Militärunternehmens ein. An einigen Tagen zeigte er Bilder nur an einem Tag getöteter Kämpfer. Zu sehen waren stets mehrere Dutzend Leichen. Prigoschin machte Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Generatstabchef Waleri Gerassimow für diese Verluste verantwörtlich, weil sie angeblich Munitionslieferung an Wagner unterdrücken.

Da es keine offiziellen Zahlen über russische Verluste an Soldatenleben gibt, stützen sich Journalisten auf veröffentlichte Angaben zu den Gefallenen und Begräbnisstatistiken, etwa diese Meldung über den Tod eines Unternehmers aus Wolgograd. Er war im Februar ohne vorherige Militärausbildung zu Wagner gekommen und kam im April bei den Kämpfen in Artjomowsk ums Leben. Diese Zählarbeit führt seit Beginn der russischen Militäroperation der russische BBC-Dienst zusammen mit einem westlich finanzierten russischen Nachrichtenportal durch. Sie haben die Namen von 22.644 gefallenen russischen Soldaten ermittelt (Stand 12. Mai).

Die BBC geht aber von einer höheren tatsächlichen Zahl aus, weil verschollene und getötete Kämpfer der Donezker und Lugansker Volksmiliz in dieser Statistik nicht berücksichtigt werden. Die Gesamtzahl könnte demzufolge 58.500 Kämpfer übersteigen. Laut BBC sind über 1.459 getötete reguläre Kämpfer des Militärunternehmens Wagner namentlich bekannt. Außerdem sei bekannt, dass seit Dezember bei den Kämpfen um Soledar und Artjomowsk 3.100 ehemalige Gefägnisinsassen getötet wurden.

Diese Daten stammen von der für den Westen "vertrauenswürdigen" BBC. Das sind zwar auch hohe Verluste, sie sind aber um viele Male niedriger als die von US-Präsidenten genannten Zahlen. Ob Bidens 100.000 bei Artjomowsk gefallene Russen ein Versprecher oder ein Patzer des US-Präsidenten waren, von denen es schon in den letzten Monaten sehr viele gab, oder bewusste Desinformation, ist allerdings schwer zu sagen.

Fakt ist aber, dass Bidens Äußerungen sich nahtlos in das von den westlichen Medien verbreitete Narrativ einfügen, demzufolge die ukrainische Armee außerordentlich stark sei und den russischen Truppen schwerste Verluste zufüge. In diesem Fall müsste Biden mit dieser frei erfundenen Horrorzahl den Verlust einer gut befestigten ukrainisch kontrollierten Stadt medial kaschieren und den Weg für die Freigabe weiterer Waffenlieferungen ebnen.

Mehr zum ThemaIst Bachmut nun unter Russlands Kontrolle? – Selenskij kann sich nicht entscheiden

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.

Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.